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Auf der Suche nach der großen Liebe entscheiden sich immer mehr Damen und Herren jeden Alters für die einfache, bequeme Variante: das Onlinedating über Singlebörsen.Nirgendwo wird so beständig Mitgefühl mit Sentimentalität verwechselt wie in der Sozialpolitik. Bislang ging das gut.
Ein deutscher Beitrag, den Jan Fleischhauer sicher auch in Österreich so ähnlich schreiben würde – die Zahlen sind dann halt jeweils durch 10 zu dividieren.
Wie muss man sich den typischen Hartz-IV-Empfänger vorstellen? Vielleicht so: studierte Medizinerin mit 20 Jahren Berufserfahrung, jetzt arbeitslos, weil sie der Mann mit sechs Kindern im Stich ließ. Jeden Tag steht die Frau bei der Münchner Tafel, damit die Kinder etwas frisches Obst bekommen; dafür bringt der achtjährige Sohn in Mathematik eine "eins mit Sternchen" nach Hause.
Ich habe mir das nicht ausgedacht. So steht es bei Kathrin Hartmann in ihrem Buch "Wir müssen leider draußen bleiben", dem aktuellsten Führer durch die "neue Armut".
Wenn es um das Leben am Rande der Gesellschaft geht, scheint es ein nahezu unstillbares Bedürfnis nach Verklärung der Verhältnisse zu geben. In den Halbjahresprogrammen der großen Publikumsverlage hat sich inzwischen ein eigenes Genre des Sozialkitsches etabliert, der die Leser in die Welt zwischen Sozialstation und Armenspeisung führt. Die Autoren entstammen zumeist der postmateriell orientierten Mittelschicht und damit einem Milieu, dessen Lebenszuschnitt nicht nur räumlich von dem ihrer Beobachtungsobjekte himmelweit entfernt ist. Ich frage mich gelegentlich, was diese Frauen (und es sind meist Frauen) dazu treibt, zwischen dem Geplänkel über die richtige Kita für Jonas und Marie die Armenviertel in Berlin oder Frankfurt in Augenschein zu nehmen. Vielleicht ist es Langeweile.
Vielleicht auch einfach das schlechte Gewissen, dass es ihnen so viel besser geht.
Hartz-IV-Bezieher tauchen in diesem literarischen Ablasshandel ausnahmslos als Opfer der Verhältnisse auf, die ein böser Streich des Schicksals aus der Bahn geworfen hat und nun alles daran setzen, zurück ins Leben zu finden. Dass man auf die Armen nicht länger herabsieht, sondern ihnen mit Verständnis und Anteilnahme begegnet, darf man zu Recht als zivilisatorischen Fortschritt begreifen. Die Frage ist nur, ob man deshalb bei aller Rührung über die eigene Toleranz die Realität aus dem Blick verlieren muss. Es ist immer ein Fehler, Mitgefühl mit Sentimentalität zu verwechseln, leider wird beides nirgendwo so beständig durcheinander geworfen wie in der Sozialpolitik.
Seit Jahren liegt die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter, die nicht arbeiten und von staatlicher Unterstützung und damit der Schaffenskraft anderer abhängen, bei weit über drei Millionen, und zwar weitgehend unabhängig davon, wie sich die Wirtschaft entwickelt. Gerade haben die zuständigen Behörden wieder gemeldet, dass die Zahl der Arbeitslosen weiter gesunken ist, auf jetzt 2,97 Millionen, so wenig wie seit langem nicht mehr. Doch an den Leuten, die besonders dringend auf einen neuen Job angewiesen wären, weil sie schon lange jeder geregelten Arbeit entwöhnt sind, schwingt auch dieser Aufschwung vorbei.
Tatsächlich hat sich die Hartz-IV-Welt vom normalen Arbeitsmarkt weitgehend entkoppelt. In der Berichterstattung findet das kaum Beachtung, dabei ist diese Entwicklung zur Parallelgesellschaft für die Zukunft des Landes mindestens so bedeutend wie das Nebeneinander von Deutschen und Muslimen. Eine nahliegende Erklärung für die erstaunliche Stabilität des Transfermilieus wäre, dass viele, die sich mit der Stütze des Staates eingerichtet haben, dem Arbeitsmarkt nur pro forma zur Verfügung stehen. Entweder, weil es sich für sie nicht lohnt, einer ordentlichen Arbeit nachzugehen - oder weil sie dem Arbeitsleben schon so lange fern sind, dass sie Mühe haben, morgens beizeiten aufzustehen. Die zerstörerische Wirkung dauerhaften Nichtstuns ist von der Sozialforschung hinreichend beschrieben, daran liegt es nicht. Man sollte darauf nur nicht im Detail zu sprechen kommen.
Als ich neulich in einer Diskussion die Empfehlung gab, sich doch einmal mit Schulzahnärzten zu unterhalten, welche Vernachlässigung sich schon am Gebiss von Zweitklässlern ablesen lässt, weil die Eltern versäumt haben, den Kindern den Gebrauch der Zahnbürste zu erklären, trug mir das erst die Missbilligung des Publikums und dann den Tadel der "Süddeutschen" ein. "Stammtisch der Mittelschicht", war der anschließende Artikel überschrieben. Ich habe zwar nie verstanden, was gegen den Stammtisch spricht, zumal in Bayern. Ich halte das für einen Ort geselligen Beisammenseins, aber dennoch war damit irgendwie klar, dass ich mich mit meinem Hinweis daneben benommen hatte.
Deutschland ist ein reiches Land, deshalb konnte es sich bislang die Pazifizierung seiner Unterschicht durch Geldtransfers leisten. Rund 50 Milliarden geben Bund und Kommunen im Jahr für Hartz-IV aus, wobei nur die Hälfte an die Empfänger als Geldleistung fließt. Die andere Hälfte geht in die diversen Umschulungs- und Bildungsmaßnahmen, denen sich jeder Hartz-IV-Empfänger von Zeit zu Zeit unterziehen muss, um seine Ansprüche zu wahren. Wer die Mechanismen des deutschen Sozialstaats kennt, sieht sofort, dass hier viele Interessen im Spiel sind.
Zum Glück gibt es immer noch genug Menschen, die lieber arbeiten gehen, als Zuhause ihre Tage zu vertrödeln, auch wenn sie davon finanziell nicht wirklich etwas haben. Wer heute als Vorstand einer vierköpfigen Familie an der Ladenkasse steht oder Umzugskisten schleppt, könnte morgen den Job quittieren, ohne dass er schlechter da stände. Auf 1800 Euro belaufen sich derzeit die Zuwendungen für einen Hartz-IV-Haushalt mit zwei Kindern - sind mehr als zwei Kinder im Haus, sind es noch einmal deutlich mehr.
Die Realitäten des vereinten Europas könnten allerdings dazu führen, dass diese Form der Sozialpolitik schon bald an ihre Grenzen stößt. Was hierzulande als Leben unterhalb der Armutsgrenze gilt, ist in anderen Teilen ein Stück vom Paradies. Im SPIEGEL stand neulich ein ausgezeichneter Report über die Zuwanderung aus den Armenhäusern in Rumänien und Bulgarien, die erst seit ein paar Jahren ebenfalls EU-Mitglieder sind. Die wenigsten machen sich eine Vorstellung, welche Dynamik hier in Gang gesetzt wurde.
Wer darauf hofft, dass man den neuen Mitbürgern die Leistungen streichen könnte, hat die Rechnung ohne den Europäischen Gerichtshof gemacht. Dieser Diskriminierung haben die Richter vorsorglich den Riegel vorgeschoben: Der Sozialsatz in Deutschland ist für alle gleich, egal ob sie aus Neukölln kommen oder einem Armendorf in der Nähe von Bukarest.
© S.P.O.N. - Der Schwarze Kanal auf Spiegel Online - Kolumne von Jan Fleischhauer