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Fast eine Grabrede - von Martin Krusche

Wir sind es nicht gewohnt, bloß die Argumente anzugreifen, wir attackieren lieber gleich den Menschen, der die Argumente vorbringt

Wirklichkeit ist nichts Naturgegebenes. Sie ist das flüchtige Ergebnis kultureller Prozesse. Dabei spielt Definitionsmacht eine wichtige Rolle. Die ist heute sehr wesentlich auch eine Frage der Medienzugänge und Medienanwendungen. Polemisch verkürzt und etwas schlampig dahingesagt: Medienanwendung ist Realitätserzeugung.

Das wissen die Leute in der Politik, das wissen natürlich auch meine Kolleginnen und Kollegen auf dem Kunstfeld. Alle? Ich nehme es an. Wie wir Dinge benennen, Menschen, Vorgänge, das erzeugt Wirklichkeit. Über Medienanwendungen verbreitern und vertiefen wir solche Wirkungen mitunter.

Bürgerliche Öffentlichkeit

Das bedeutet im Umkehrschluss, wenn sich Definitionshoheit und Medienanwendung gemeinsam auf einen Menschen fokussieren, dann deshalb, weil jemand diesem Menschen höher Wirkung zukommen lassen oder auf ihn höheren Druck ausüben möchte, als es möglich wäre, wenn ich jemanden quer über die Straße hinweg anbrülle.

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Um der Gegenwartskunst Ressourcen zu sichern, müssen unsere Inhalte und Diskursweisen es vermutlich noch auf die Höhe der Zeit schaffen.

Zugleich plaudere ich hier über Aspekte dessen, was als „bürgerliche Öffentlichkeit“ beschrieben werden könnte; heute eher als der Möglichkeitsraum einer Zivilgesellschaft. Was nun etwas geschraubt klingen mag, meint im Kern vor allem: Es soll eine Öffentlichkeit und öffentliche Diskurse geben, ohne dass der Staat die Hand drauf hat. Das bedeutet auch, es soll eine vom Staat unabhängige Medienlandschaft geben.

Das sind manchmal bloß fromme Wünsche und feuchte Träume. Was heißt es für die Praxis? Na, das heißt mindestens, es soll ausreichend viele Leute geben, die zur Meinungsbildung und Meinungsäußerung befähigt sind. Woher kriegen wir die? Fallen die vom Himmel? Eher nicht. Kunst- und Kulturschaffende reklamieren diesbezüglich manchmal soziokulturelle Agenda für sich. In der Folge sind kritische Diskurse dort zuhause, wo sich Kunst- und Kulturschaffende. Ja oder ja? (Skepsis schadet nicht!)

Befindlichkeitsprosa

Ich bin sehr an Kulturpolitik interessiert, weil ich Kulturschaffender bin, auch Künstler, da hat das so seine naheliegende Seite. Kulturpolitik ist hier im Steirischen gerade sehr im Gespräch. Naja, das war nun etwas ungenau. Kulturpolitik ist gerade in der „Kleinen Zeitung“ sehr präsent, weil da eine Serie von Statements publiziert wird, die sich mit Fragen der Kulturpolitik befassen.

Lassen wir beiseite, dass mindestens die Hälfte davon übliche Befindlichkeitsprosa ist, wie man sie für zehn Cent oder billiger jederzeit an jeder Ecke bekommt. Immerhin schafft die „Kleine“, was die „Szene“ selber nicht schafft, nämlich eine mediengestützte Bestandsaufnahme der Positionen im steirischen Kulturgeschehen zu generieren.

Wie amüsant, wenn exponierte Persönlichkeiten der „Szene“, die „Kleine“ dann intern etwa „national-katholisches-pressure-format“ nennen. Eines von mehreren möglichen Beispielen, wie wir unsere Positionen schwächen, wo wir verachten, was wir begehren. Wie schon erwähnt, es soll im Sinne einer zeitgemäßen Demokratie eine Öffentlichkeit und öffentliche Diskurse geben, ohne dass der Staat die Hand drauf hat. Für die könnten wir als steirische Kunst- und Kulturschaffende zwar sorgen, warum sie aber seit wenigstens einem Jahrzehnt bloß rudimentär besteht, kann ich leider nicht erklären.

Dass ein Blatt „firmenintern“ als „pressure-format“ gehandelt wird, während man sich zugleich danach streckt und dehnt, um in solchen Blättern vorzukommen, illustriert ein Problemchen das wir mit der „bürgerlichen Öffentlichkeit“ haben. Erstens will niemand aus unseren Reihen als „bürgerlich“ gelten, zweitens wissen wir alles, aber wir sagen es nicht, und wenn es wer sagt, ist es ein A...

Basis-Schass

Wer den Lauf der Dinge aufmerksam verfolgt, weiß, dass derlei Kuriosität auf der Bundesebene längst verstanden wurde. Unser eigenes Schamgefühl gegenüber Politik und anderen meinungsbildenden Kreisen hat einen simplen Kontext. In Wien legte das Trio „maschek“ im „Rabenhof Theater“ der Handpuppe, die den vormaligen Kanzler Alfred Gusenbauer darstellt, auf das Stichwort „Basis“ folgendes in den Mund: „Kummts von da Basis, waß i, dass’ a Schass is.

Wir haben dieses zutiefst österreichische Prinzip, das dem wehmütig Gedenken an Josef II. gewidmet ist, gründlich demokratisiert. Alles ist Basis, niemand steht über uns, und alles, was wer weiß, ist ein Furz.

Darum bekomme ich auch keine Einwände oder Gegenpositionen serviert, wenn ich etwa mehr als vorlaut meine kulturpolitischen Ansichten deponiere. Dann betont ein Brieflein an mich eher, dass meine Ansichten „der selbstprofilierung dienen (motto: "ich hab alle relevanten positionen studiert, doch hier reden andre mit, die von kulturpolitik nix verstehn..." oder so ähnlich)...“

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Die „Amici delle SVA“ machen sichtbar, welches Problempotenzial manche Reglements bergen

Der Absender hätte ebenso gut seine eigenen kulturpolitischen Ansichten gegen meine stellen können. Aber falls er keine hat, muss er sich eben damit begnügen, meine Überlegungen blumig als irrelevant zu erklären. (Schade, so lerne ich nichts dazu!)

Kleiner Einschub zum Stichwort „selbstprofilierung“: Ich bin Künstler, Freelancer also EPU = „Einpersonenunternehmen“. Diese Unternehmensart macht übrigens rund 60 Prozent der heimischen Wirtschaft aus. Als EPU halte ich „Selbstprofilierung“ für einen Teil meiner Geschäftsgrundlagen. Würde ich darauf verzichten, wäre ich sehr schnell aus allen Geschäften, wäre pleite, ein Fall für die Notstandshilfe. Mit meinen 56 Jahren dürfte ich mich unter die definitiv nicht vermittelbaren Langzeitarbeitslosen einreihen.

So aber bemühe ich mich Quartal für Quartal die nötigen Ergebnisse zu schaffen, die mir ein Jahreseinkommen sichern und die mir das Finanzamt gewogen halten. Ein eigenes Kapitel wäre dabei noch das Thema Sozialversicherung, immerhin eine der härtesten Konkursgefahren für Österreichs EPU, wie die Initiative „Amici delle SVA“ deutlich zu machen versucht.

Freelancers?

Doch über all das reden wir im Steirischen auch nicht. Ich hätte es ja gerne von so manchen Kolleginnen und Kollegen gewusst, von Filmemachern, Protestkünstlerinnen etc.: Wie macht Ihr es? Wie sieht Eure soziale Situation konkret aus? Was sind die wirtschaftlichen Aspekte dieser Profession? Was sind die Strategien, um als Freelancer ökonomisch zu überleben, ohne sich über die Jahre bis in tiefe Erschöpfung zu verausgaben?

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Ich hätte dann auch noch gerne etwas Kuchen zum Kaffee

So was erfährst du von meinen Leuten nicht. Das sind gut gehütete Geheimnisse. Ich hab vor einer Weile begonnen, unter dem Titel „Wovon lebt der Krusche?“ etwas Licht in dieses Thema zu bringen: Es sind nämlich nur die allerwenigsten Kunstschaffenden Österreichs in der Lage, aus bloß künstlerischer Arbeit ein akzeptables Jahreseinkommen zu lukrieren. Dieser Typus ist also die rare Ausnahme. Wie macht es dann der Rest? Schweigen!

Die „res publica“ ist in der Praxis eine „res secret“, eine trübe Geheimsache. Zurück zum oben eingeschobenen Zitat aus einer Post an mich: "ich hab alle relevanten Positionen studiert, doch hier reden andre mit, die von kulturpolitik nix verstehn..." So redet sich einer raus, dem meine Ansichten nicht passen, der es aber seinerseits keiner Mühe wert findet, sich profunde Ansichten zur Kulturpolitik zu erarbeiten. Diese Position ergibt einen lebhaften Club im Steirischen.

Deshalb auch so einseitig ausgerichtetes Gebrüll, wenn es um Kulturpolitik geht. Dann ist meistens nur von den Leuten aus Politik und Verwaltung die Rede, denen wir etwas vorzuhalten haben. Dass wir selbst auch in all unserem Tun und/oder Unterlassen Kulturpolitik konstituieren, fällt in der aktuellen Debatte weitgehend unter den Tisch.

Was meinen wir denn, wenn wir Kunst sagen, Kulturpolitik, wenn wir solche Begriffe in hitzige Debatten tragen? Es lässt sich im Steirischen kaum herausfinden. Vergangenen November habe ich mich umgesehen. Meine damalige Ratlosigkeit bleibt angesichts diverser Websites von bewährten Kulturinitiativen weiter bestehen.

Der immer wieder durchschlagende Diskurs-Stil in den laufenden Kontroversen ist ein trauriges Kapitel. Ich hab eingangs behauptet: Medienanwendung ist Realitätserzeugung.

Kulturkampf?

Vom Herbst 2011 in den Winter war da noch eine Tendenz, die Medienleute zu Headlines in einer völlig überzogenen Kriegsrhetorik anzuregen, da wurde gelegentlich mit Begriffen wie „Kulturkampf“ [link] etc. getitelt. Solche Redensarten werden auch bei der rührigen „Plattform 25“ […] nicht gescheut, sondern sogar gelegentlich forciert.

Das war für mich ein Anlass, in „diese tussi ist ein unmensch“ (Wenn die Spaßgesellschaft ernst macht) ein paar Einwände vorzubringen, wenn Andersdenkende und Opponenten sprachlich derart abgefertigt werden. Dieser peinliche Tonfall ist im Kulturbereich mittlerweile wieder am Zurückgehen.

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Scharfsinnige Deklarationen bleiben vermutlich Makulatur, wenn sie nicht mit konkreten Strategien unterlegt werden können

Ein weiterer Tiefpunkt im öffentlichen Diskurs war dann die gelegentliche Unterstellung psychischer Pathologienähe bei Opponenten… Siehe dazu „Boulevardisierung des Kunstbetriebes?Ob mir nun ein Politiker passt oder nicht, aus seinem Verhalten via Ferndiagnose psychische Probleme abzuleiten, das ist selbst im ironischen Plauderton völlig unakzeptabel. Solche Zuschreibungen sollten den Anhängern des Hitlerismus oder Stalinismus vorbehalten bleiben, da war es Business as usual, Andersdenkende als psychisch krank oder sonst wie pathologisch vorzuführen.

In einigen der engagierten Grazer Zirkel kann das individuelle Abweichen von vorherrschenden Gruppen-Meinungen gelegentlich mit derartigen Statements quittiert werden: „Ist das jetzt das Kindergartenniveau von dem du sprichst oder sprechen da frustrierte sudernde Pensionisten zu mir, denen den ganzen Tag nur fad ist und die nix anderes zu tun haben als todgeweihte Initiativen, Plattformen und die IG zu traktieren ...“

Wir sind es nicht gewohnt, bloß die Argumente anzugreifen, wir attackieren lieber gleich den Menschen, der die Argumente vorbringt.

Zusammenfassend fällt mir auf, dass in den aktuellen Debatten über Rahmenbedingungen des Kunstgeschehens und über Befindlichkeiten der Kulturpolitik einige sachkundige Professionals zugange sind, die sich aber eher selten zu Wort melden. Das wird leider oft von sehr viel Polemik übertönt, in der sich Leute ereifern, die weder ihren Status deutlich machen, noch differenzierte Ansichten zur Kulturpolitik vorlegen. Manche davon segeln überdies mit Kunstbegriffen, da finde ich einfach nicht heraus, in welcher Diskussion diese Vorstellungen von Kunst auch nur zehn Minuten bestehen könnten.

Dazu kommen vereinzelte Glanzstücke, wie ein „Offener Brief“, der mich vor einem Weilchen erreicht und dessen feiner Sprachwitz mich umgehauen hat:  Auch da fehlt unter den Mutmaßungen bezüglich meiner Motive nicht der übliche Exkurs über den Geisteszustand eines Andersdenkenden:
D) er leidet unter einer Krankheit?
E) er leidet unter seltsamen Fantasien?

Geistiger Pausenmodus?

Dass die ganze Branche sich selbst kaum aufrafft, zu all den offenen Fragen medial präsent zu sein, habe ich schon notiert. Das bleibt also auch weiterhin den oft geschmähten Mainstream-Medien überlassen, obwohl wir selbst über Printmedien, Radioleisten, Websites, Blogs etc. verfügen.

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Viele aktuelle Andeutungen zur Kulturpolitik sind längst ausführlich bearbeitet und publiziert

Es ist ja ein bissl peinlich, aber es lässt sich leider belegen, dass die meisten Inhalte, die man in aktuellen Vorkommnissen und Statements dingfest machen kann, von wenigen Ausnahmen abgesehen, gar nicht erst an das heranreichen, was ohnehin längst geklärt, formuliert, publiziert und dem kulturpolitischen Personal übergeben wurde; siehe: „Winden und wimmern

Daraus müsste ich eigentlich schließen, dass die Branche geistig in einen Pausenmodus geschaltet hat und, gleich dem gerne geschmähten ORF, einfach ihre Sendungen wiederholt. Dazwischen gehen sich noch kleine Scharmützel unter Kulturschaffenden aus, die auch nicht zu inhaltlich relevanten Debatten führen, sondern bestenfalls zur Androhung rechtlicher Schritte; wie etwa der Filmemacher Trenczak meinem Herausgeber mit dem Anwalt droht, weil ihm einige meiner Glossen und Polemiken nicht passen.

Er könnte mir natürlich inhaltlich die Stirn bieten, wahlweise mich --- gleich dem Cyrano – mit Esprit umhauen. Doch er schreibt bloß an Heinz Rüdisser: „wenn sie die publikation illegal beschaffter korrespondenz in info.graz nicht nur billigen, sondern befürworten, darf es sie nicht wundern, wenn ihnen demnächst ein einschreiben ins haus flattert. es wird auf ihre ‚haftung’ bezug nehmen.“

Derlei weist ins Nichts eines ambitionierten Zeitvertreibs, der kulturpolitisches Engagement simuliert, aber nicht einlöst. Ich vermisse auch nach wie vor Reflexion und anregende Statements bei Plattformen wie der „Künstler*innehaus-Partie“ und anderen Formationen, die für sich künstlerische wie kulturpolitische Relevanz reklamieren.

Kann ja sein, dass dort jeweils doch noch was Interessantes kommt, obwohl nun – entgegen geäußerter Ankündigungen – über Monate nichts gekommen ist. Der gesamte Grazer Kulturbetrieb hat sich offenbar beim Ausgeben so hoher Geldbeträge, wie sie der Kulturbetrieb der Provinz niemals zu sehen bekommt, völlig verausgabt. Nun dominieren Burn out und Wehklagen.

Lassen wir uns überraschen, wer von den dortigen Kulturschaffenden in naher Zukunft mit klaren Vorstellungen und debattierbaren inhaltlichen Positionen auffallen wird. Und fragen wir außerdem vielleicht im Sozialressort nach, ob sich noch ein paar geschützte Arbeitsplätze freischaufeln ließen, die könnten im Kunstbereich gebraucht werden.

© Martin Krusche, Jahrgang 1956, freischaffender Künstler, Exponent von „kunst ost

Weitere Beiträge von Martin Krusche zum diesem Thema und zu anderen Themen sind hier.

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