Liebeskummer – Symptome, Phasen und Überwindung
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Theater t'eig zeigt aktuell, passend zur Jahreszeit, ein Pasticche auf unterschiedliche Text- und Spiel-Traditionen rund um die biblische Passionsgeschichte, feat. u.a. Klaus Kinski, Sophie Reyer und Evangelium nach Johannes.
Die beiden entscheidenden Faktoren des Abends sind erstens seine Materialfülle und zweitens die wackelige ironische Brechung, mit der das Ensemble diese Fülle zu bändigen versucht.
Was die "Passion" des t'eig-Theaters im Volkshaus strukturiert, ist die ganz wörtlich zu verstehende "Reise nach Jerusalem": das bekannte Spiel, bei dem Leute um zu wenige Sessel herumtanzen und also irgendwann, wenn die Musik aufhört, ein "Auserwählter" feststeht. Diese "Reise" führt nun das vierköpfige Ensemble durch verschiedene Texte und Textsorten. Die Spannweite reicht vom Bibelvers über ein Oratorium aus der Feder der Autorin Sophie Reyer bis zu diversen Fernsehfilm-Sketches vor einem Greenscreen, aber sie reicht auch von Klaus Kinskis berühmtem Christus-Crash über haufenweise Meta-Späßchen für die Eingeweihten ins traditionelle ländliche Passionsspiel bis zu, schlussendlich, haufenweise allerschrecklichstem Rhythmusmessen-Jungschar-Liedgut.
Diese verschiedenen Ebenen sind genau so ineinander geschachtelt, dass nicht der Eindruck aufkommt, man habe es mit "Rahmenhandlungen" und "eigentlicher Handlung" zu tun – obwohl diese Interpretation ganz zu Beginn noch nahezuliegen scheint (zumindest solange, wie der allererste Einstieg in den Abend noch läuft: Die durch-inszenierte Version der bekannten Szene, in der Klaus Kinski mit seinem Jesus Christus Erlöser-Programm auf ein Publikum trifft, das ihn scheitern sehen will) … Aber rasch wird klar, dass wir es eben nicht mit nur zwei oder drei übersichtlich aufeinander bezogenen Textsorten und Spielweisen zu tun haben, sondern eher mit sieben oder acht.
Der Kitt zwischen diesen verschiedenen Ebenen ist die Geste der ironischen Brechung. Die Schwierigkeit dabei liegt in der Funktionalität: Wenn von der ironischen Setzung nichts bleibt als eben die Setzung, und wenn wir jede einzelne Äußerung zugleich at face value und unernst verstehen können, weil es keinen inhaltlichen Anker im Großenganzen gibt … Dann weiß man nicht so recht, was dieses Passionsspiel eigentlich sein soll; und man bekommt auch leicht einmal den Eindruck, dass auch das Ensemble selbst nicht gewusst hat, wohin es will.
Das Kreuz mit der Produktion ist also, dass sie sich nicht und nicht darauf festnageln lässt [pun very much intended, thank you]: Sollen wir sie ernstnehmen (ca. im Sinne einer religionspädagogisch ausgefuchsten Heranführung an die Frage, was die Kreuzigung "für uns im einundzwanzigsten Jahrhundert noch bedeuten könnte", oder so), oder will sie ihren Stoff und die umgebenden volkskulturellen Traditionen als glücks- und vernunftfeindlichen Käse verlutschen und verlachen? Na was jetzt?
Die Kalauer sind zahlreich, verwegen und weit vorausschauend eingefädelt, und das wiederkehrende Jugendmessen-Geheul mit Gitarre und Kabasa ("Nimm oh Herr die Gaben die wir bringen" und so) verschafft in seiner penetrant inszenierten Naivität auch dem glaubensstärksten Atheisten einen plastischen Eindruck davon, wie sich die oarmen Sünder in der ca. Hölle fühlen. Diese beiden Eindrücke sprächen dafür, dass wir es mit eine blanken-bösen Parodie zu tun haben. Doch andererseits sind da der "Oratoriumstext" (ich nenne das Segment mal so, ja?) von Sophie Reyer sowie die "Alltagsszenen" vor dem Greenscreen, mit denen das Theater t'eig die Passion immer wieder unterbricht, um uns ganz ungebrochen sowas wie "das wirkliche Leiden im wirklichen Alltag ganz normaler Menschen" zu zeigen, also "das Kreuz, das wir tragen usw." (Krebsdiagnose, berufliche Erfolglosigkeit, Scheidung …) – beide Spielebenen sind anscheinend völlig unumwunden ernst gemeint, werden zumindest ohne interne Brüche oder Augenzwinkern dargeboten. Es sind diese Stellen, die uns, wie oben angedeutet, an "religionspädagogische Heranführung usw." denken lassen.
Die Alltagsszenen sind dabei insgesamt das schwächste Glied in der Kette dieses Passionsabends; sind zu vorhersagbar, zu didaktisch-pseudonaturalistisch gespielt, auch zu, eben, pädagogisch. Das "Oratorium" dagegen – ein Stück intensiver Prosa von Sophie Reyer, gesprochen aus der Warte des Kreuzes, das Jesus schleppt; ein deutlicher erotisch aufgeladener Nachbau der Quälerei aus Mel Gibsons Christusfilm mit den Mitteln zeitgenössischer Literatur – ist das interessanteste an dieser "Passion", weil es das einzige Segment ist, das nicht von der weiter oben geschilderten ambivalenten Ironiegeste an Ort und Stelle gehalten wird, sondern auch ganz auf sich gestellt funktioniert. Doch selbst dieses Stück Text, insofern es in eine Art "chemische Hochzeit" zwischen Holz und Fleisch gipfelt, will auf irgendeine Art von Metaphysik, oder zumindest Sinnstiftung hinaus …
… Und damit ist wiederum gesagt, dass die "Passion" nach Theater t'eig nicht für jedermann sein wird: Wer im Große-Ganzen prinzipiell ein ungebrochenes Verhältnis zu den Denk- und Jahreskreis-Traditionen hat, auf denen dieser Theaterabend aufsitzt, wird sich wohl gut unterhalten und angeregt finden. Wer dagegen das Insistieren auf einen extrinsischen "Sinn" bereits für eine Zumutung hält und dementsprechend mit Anspannung und inneren Widerständen auf die Inszenierung von Gebeten und religiösen Ethikdiskursen reagiert (wie beispielsweise der Rezensent), für den wird das besuchen dieser "Passion" selbst zum Leidensweg werden.
Sämtliche Rechte der Bilder im t'eig Theater bei © Foto: Heldentheater