Nicht von Zweifeln oder dem Drang zu differenzieren angekränkelt sind die Bayern: Broschüre des bayerischen Staates über Scientology zwischen Broschüren über „islamischen Extremismus“ und „organisierte Kriminalität“ in einem Münchner Touristenbüro
Nun ist das Wirken so genannter Sekten nicht ohne die umgebende gesellschaftliche Situation zu verstehen. Schon im Römischen Reich erhielten diese Gruppen verstärkten Zulauf, etwa im 3. Jahrhundert n.Chr., als das gesellschaftliche Leben als unsicher und zu wenig identitätsstiftend empfunden wurde.
Scientology Kirche Hamburg
Betrachten wir die zeitgenössische aktuelle gesellschaftliche Situation, so fällt auf, dass als Gegenpol zur allseits gepriesenen Individualisierung (welche eine angepasste, konformistische Individualisierung ist), eine starke Suche und Sehnsucht nach Gemeinschaft viele Menschen, darunter viele Jugendliche, bewegt. Gemeinschaftsangebote, sind sie auch mit Askese, Selbstaufopferung und unbezahltem Arbeitseinsatz verbunden, zählen zu den stärksten Lockmitteln, über die problematische religiöse Gruppierungen verfügen.
Werbeplakat für die Oxford-Persönlich-
keits-Analyse von Scientology
Findet dann das so genannte love bombing, d.h. das Überschütten mit Zuneigung und Aufmerksamkeit statt, wie es die Forschung z.B. von der Vereinigungskirche (vulgo „Munsekte“) kennt, sind schnell Bindungen geknüpft, aus deren Bann sich der Einzelne oft schwer lösen kann.
Auch die Entgrenzung des Raumes, d.h. die ständig voranschreitende Auflösung traditioneller Identitäten und der Beheimatung in Dorfgemeinden und Stadtvierteln, die Auflösung lokaler und regionaler Bezüge in einem globalisierten Welteinheitsbrei verunsichern viele Menschen, die sich zunehmend orientierungslos fühlen. Dazu verflüchtigen sich alte Werte und Strukturen, die noch Sicherheit und Beheimatung bereitstellten, auch wenn diese Sicherheit vielfach von Zwängen verschiedener Art gekennzeichnet war. Neben der freiwilligen Mobilität, eine Errungenschaft unserer modernen Welt mit ihren technischen Möglichkeiten, steigt jedoch auch die unfreiwillige Mobilität, z.B. verursacht durch die Abwanderung aus einer ländlichen „Heimat“ in städtische Ballungsräume zwecks Arbeitsplatzmöglichkeiten.
Mit dem immer deutlicher werdenden Einflussverlust der christlichen Kirchen wird die Entwicklung zu einer religiös-spirituell pluralistischen Gesellschaft abgeschlossen.
Heute sehen wir einen wahren Dschungel an Angeboten, in dem gegenwärtig so genannte Sekten zahlreiche Problemfelder aufweisen. Die wichtigsten sind:
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Das Siegel des Baphomet, eine im
Satanismus häufig verwandte
Variation des Drudenfußes.
In der Umschrift steht in hebräischer
Schrift „Leviathan“.
Familien- und / oder Beziehungstrennungen. Ist ein neues Mitglied nun auf dem einzig „wahren“ Weg, dünnt es bewusst oder unbewusst die Beziehungen zu seinem alten sozialen Umfeld aus, das ja nicht auf dem neu entdecktem goldenen Pfad wandelt. Manche Gruppen üben starken Druck aus, um die Trennung vom alten sozialen Umfeld zu erzwingen. Berüchtigt ist da u.a. der „Trennungsbefehl“, den laut Aussagen prominenter Aussteiger Scientology ausspricht, um einen Anhänger aus seinem Scientology kritisierenden alten Umfeld heraus zu lösen. Im Allgemeinen muss gesagt werden, dass radikale Familientrennungen, wie sie bei den Jugendreligionen der späten sechziger und siebziger Jahre des letzten Jahrtausends üblich waren, deutlich abgenommen haben. Viele so genannten Sekten akzeptieren heute, auch aus finanziellen Überlegungen heraus, einen äußeren Kreis, in dem der Anhänger in seinem alten sozialen Umfeld bliebt, seiner gewohnten Profession nachgeht, und einem inneren Kreis, der allerdings soziale Kontakte durchtrennen muss oder sie auf ein Minimum reduziert.
- Die finanzielle Ausbeutung besteht vor allem darin, dass durch subtilen psychischen Druck und die Weckung von Schuld- und Angstgefühlen, Menschen in so genannten Sekten angeleitet werden kleinere oder größere Teile ihres Vermögens zu spenden. Auch „ehrenamtlich“ verrichtete Tätigkeiten zum Wohle der Organisation sind häufig anzutreffen.
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Das Symbol der Vereinigungskirche
(Moon-Sekte bzw. Mun-Sekte)
Besonders problematisch ist auch der Abbruch von Ausbildungen und Studien, den junge Menschen durchführen, um sich enger an die Gruppe zu binden und sich von der als unwirklich oder verworfen empfundenen gesellschaftlichen Realität und den Anforderungen der Leistungsgesellschaft zu entfernen. Tritt sodann der Mensch nach z.B. sieben Jahren aus der totalitären religiösen Gruppe aus, da er ihre Schattenseiten erkannt hat, steht er dann ohne Ausbildung in der kalten Welt wirtschaftlicher Zwänge, die für ihn bestenfalls einen schlecht bezahlten Hilfsarbeiterjob bereit hält, es sei denn finanziell gut gestellte Eltern finanzieren dem heimgekehrten verlorenen Sohn eine Ausbildung.
- Eine Indoktrination, teilweise mit Hilfe tranceartiger Zustände, kann bei vielen so genannten Sekten beobachtet werden, wobei der volkstümlich beliebte Ausdruck „Gehirnwäsche“ wissenschaftlich nicht vertretbar ist. Besser eignet sich der Begriff der Bewusstseinskontrolle, der das oft markant geänderte Verhalten eines Menschen in einer totalitären religiösen Gruppe kennzeichnet. Die so genannte Verhaltenskontrolle bezüglich Kleidung, Schlafen, Essen und Wohnort hat bei diesen Gruppierungen gegenüber den siebziger Jahren deutlich abgenommen, nach wie vor kann man jedoch eine Art der Gedanken- und Gefühlskontrolle feststellen. Auch eine Informationskontrolle, die kritische Berichte oder „weltliche“ Zeitungen etc. ausschließt, findet öfter statt, was zu einer Entmündigung und geistigen bzw. intellektuellen Verengung des in solch einer Gruppe weilenden Menschen führt.
- Auch totalitäre Weltbilder, wie sie einige sogenannte Sekten aufweisen, sind mit der Demokratie nicht vereinbar. Wenn z.B. ISKCON (vulgo Hare Krishna) zumindest lange Zeit die hinduistische Kastenordnung gegenüber demokratischen Realitäten bevorzugte, wie wir es aus dem rechtsextremen hinduistischen Fundamentalismus kennen, aus dessen Reihen der Mörder Mahatma Gandhis stammte, so wird deutlich, dass einige dieser „Sektenweltanschauungen“ mit Demokratie, Freiheit und Emanzipation nicht kompatibel sind.
Eine moderne Demokratie benötigt keine neue Hexenjagd, ja muss derartigen Tendenzen Paroli bieten.
Internationale Gesellschaft für Krishna-Bewusstsein (ISKCON, Kurzform von International Society for Krishna Consciousness), im Westen besser bekannt als Hare-Krishna-Bewegung, Ordensmitglieder bei einem Harinam in der Leipziger Innenstadt
Das Recht auf Religionsfreiheit, in langen sozialen Kämpfen erstritten, muss als hohe demokratische Errungenschaft gewahrt werden, allerdings ist es zugleich demokratischer Auftrag, aufklärende Informationen als Alternativangebot zu sich selbst beweihräuchernden „Sektenwerbungen“ für die Bevölkerung zu erarbeiten und bereit zu stellen.
Bei christlichen Ansätzen tut sich nicht nur die Amtskirche oft schwer mit der Unterscheidung in Religionen und/oder Sekten
Die Zeit, in der Jugendliche vor der Schule oder auf dem Schulweg angesprochen wurden, ist in der Steiermark vorbei. Jugendliche sind freilich eine wichtige Zielgruppe geblieben, bei Scientology steht die Anwerbung Jugendlicher hoch im Kurs.
Eigene Programme wie z.B. „Jugend für Menschenrechte“ sollen junge Menschen für die Organisation anwerben.
Geschickt versucht Scientology laut deutschen Verfassungsschutzberichten gegenwärtig auch, über facebook und andere online-Möglichkeiten Jugendliche zu ködern. Die Werbung mit Flyern und Broschüren ist zur Zeit bei so genannten Sekten dünn gesät, auch die Ansprechbarkeit via Internet sollte nicht überschätzt werden. Die meisten neuen Mitglieder so genannter Sekten werden über Freunde und Verwandte, manchmal auch am Arbeitsplatz gewonnen.
Der persönliche Kontakt, das Gespräch von Mensch zu Mensch, zunehmend Mangelware in unserer übersteigerten Facebookkult-Gesellschaft, hat hier magnetische Wirkung. Ein kleiner Teil späterer Anhänger wird über Inserate und Seminarangebote angeworben, deren Urheber oft nicht erkennbar sind.
Scientology-Stand in einer Fußgängerzone
Bleibt die Erwähnung, dass auch viele fundamentalistische Gruppen, die sich auch in der Steiermark im außerkirchlich-christlichem, am Rand der etablierten Kirchen und im Bereich des Islam verbreiten, Merkmale aufweisen, die ich an Hand der so genannten Sekten kurz angesprochen habe.
Auch die wenigen satanistischen Orden, die als gesellschaftliche Randerscheinung tätig sind, fallen in diese Kategorie, ja auch im breiten Feld der sonst eher „lockeren“ Esoterikszene gibt es immer wieder kleine Gruppierungen, die durchaus sektenähnliche Merkmale aufweisen.
Roman Schweidlenka