"Nüsse!" sagte er. "Zum Anschauen oder zum Aufschlagen? Ich habe ihrer noch ein Sackel, vom vorigen Jahr her. Aber sie sind nur zum Anschauen. Schlagst sie auf, so hast einen schwarzen oder verdorrten Kern, der nit zum Essen ist."
Die Nüsse ließ ich ihm. Das wollte ich dem Brüderle nicht antun: Eine schöne Schale und kein Kern. Solche Sachen darf man ihm nicht angewöhnen.
Was sollte ich nun kaufen. Er hatte ja allerhand schöne Sachen, der Krämer. Rote Sacktücheln, Hosenträger, Handspiegel, Tabakspfeifen, sogar Maulwetzen (Mundharmoniken). Doch abgesehen davon, dass der angehende Pädagoge manches nicht passend fand, hatte ich mit meinem Geldvorrat zu rechnen, der mich ja auch wieder nach Graz bringen sollte. "So wär` ich halt umsonst gegangen," sagte ich.
Damit du nit umsonst gegangen bist, so trink da ein Stamperl Roten.
Guglhupf, nach wie vor eine Delikatesse - aber nicht mehr die einzige
Darauf der Krämer: "Damit du nit umsonst gegangen bist - wenn man noch du sagen darf zum Herr Studenten -, so trink da ein Stamperl Roten." Damit goss er mir aus der Flasche süßen roten Schnaps in ein Gläschen. Als ich getrunken hatte, war mir der Mut gestiegen und die Geldsorge gesunken. Aber nicht beim Krämer wurde eingekauft, daraufhin war der Rote auch nicht gespendet vom alten braven Haselgraber. Ich ging über das Brückerl zum Bäcker hinüber und kaufte einen Vierkreuzerwecken, den ich fürsorglich in die Brusttasche steckte, so das der Fuhrmann Blasel, der mir nachher begegnete, lachend auf mich herrief: "Nau, der Waldbauer-Peter hat ja eine Hühnerbrust bekemma!" denn die Vierkreuzerwecken in Sankt Kathrein waren damals nicht danach, dass sie unter dem zugeknöpften Rock verborgen bleiben konnten. Ich kam nach Hause und nun war für den Christbaum alles beisammen. Aber kaum mir darob behaglich ward, fiel mir ein, dass gerade noch etwas Wichtiges fehlte: die Kerzen. Ich hatte der kleinen Wachskerzen vergessen; wo nehme ich sie her?
Ich nahm sie einfach her.
Waldschule in Alpl bei Krieglach/Österreich
In einem Bauernhause ist für alles Rat, nur gehört zur Herbeischaffung manchmal eine Notlüge dazu. Sie ist nicht schwer zu machen. Zur Mutter ging ich und bat, ob sie mir nicht ihren roten Mariazeller-Wachsstock leihen wollte. Sie fragte wozu? Na, dann tat ich`s halt. Ich ginge in der Nacht zur Christmette, wo in der Kirche alle Leute ihre Lichter hätten, so möchte ich auch eins haben. Sie langte nur in ihren Gewandkasten, da hatte ich den Wachsstock.
Dann ward es Abend. Die Gesindleute waren noch in den Ställen beschäftigt, oder in den Kammern, wo sie sich nach der Sitte des heiligen Abends die Köpfe wuschen, und ihr Festgewand herrichteten. Die Mutter in der Küche buk die Christtagskrapfen und der Vater mit dem kleinen Nickerl besegnete den Hof. Hatte nämlich der Vater in einem Gefäß glühende Kohlen, hatte auf dieselben Weihrauch gestreut und ging damit durch alle Räume des Hofes, durch die Stallungen, Scheunen und Vorratskammern, in alle Stuben und Kammern des Hauses endlich, um sie zu beräuchern und dabei schweigend zu beten.
Das schweigende Beten, sagt die Mutter gern, sei wirksamer als das laute.
Rauchstubenhaus, sogen. Schirnerhof. Der Hof diente als Drehort für die Roseggerserie "Als ich noch ein Waldbauernbub war".
Ja freilich, weil es ein Gebet des Gedankens, des Gefühles ist. Nun, und den Vater begleitet der Nickerl mit einem Gefäß Weihwassers und mit dem Sprenggrassel. So wie der Vater durch das Räuchern segnete, so tat es der Kleine mit Sprengen. Es sollten böse Geister vertrieben und gute ins Haus gesegnet werden. So hat man aus den altgermanischen Rauhnächten kirchliche Rauchnächte gemacht.
Wenige Jahre vorher hatte ich dem Vater bei diesem priesterlichen Amte noch geholfen, nun tat es schon das Brüderle, und gewiss auch mit jener ehrfürchtigen Andacht, die den Geheimnissen dieser Nacht gebührt.
"Mein Geburtshaus" (Zeichnung
und Widmung
für Anton Schlossar)
Dieweilen also die Leute alle draußen zu tun hatten, bereitete ich in der großen Stube den Christbaum. Das Bäumchen, das im Scheite stak, stellte ich auf den Tisch. Dann schnitt ich vom Wachsstock zehn oder zwölf Kerzchen und klebte sie an die Ästlein. Das plagte ein wenig, denn etliche wollten nicht kleben und fielen herab. Ich hätte sehr gern Geduld gehabt, um alles ordentlich zu machen, aber jeden Augenblick konnte die Tür aufgehen und vorzeitig wer hereinkommen. Gerade diese zitternde Hast, mit der sie behandelt wurde, benützten die Kerzen, um mich ein wenig zu necken. Endlich aber wurden sie fromm, wie es sich für Christbaumkerzchen geziemt und hielten fest. Es war gut. Unterhalb, am Fuße des Bäumchens, legte ich den Wecken hin.
Da hörte ich über der Stube auf dem Dachboden auch schon Tritte - langsame und trippelnde. Sie waren schon da und segneten den Bodenraum.
Die Lichtlein auf dem Baume brannten so still und feierlich
Studierhäusl Peter Roseggers, sog. Almhütte, Krieglach
Bald würden sie in der Stube sein, mit der wir den Rauchgang zu beschließen pflegten. Ich zündete die Kerzen an und versteckte mich hinter den Ofen. Noch war es still. Ich betrachtete vom Versteck aus das lichte Wunder, wie in dieser Stube nie ein ähnliches gesehen worden. Die Lichtlein auf dem Baume brannten so still und feierlich - als schwiegen sie mir himmlische Geheimnisse zu. Aber da fiel es mir ein - wenn sie nieder brannten, bevor die Leute kommen! Wie konnte ich`s denn hindern? Da konnte ja alles ganz dumm misslingen! Es ist gar nicht so leicht, Christkindel zu sein, als man glaubt.
Endlich hörte ich an der Schwelle des Vaters Schuhklöckeln - man wusste schon immer, wenn er so klöckelte, dass es der Vater war. Die Tür ging auf, sie traten herein mit ihren Weihgefäßen und standen still.
"Was ist denn das?!" sagte der Vater mit leiser, langgezogener Stimme. Der Kleine starrte sprachlos drein. In seinen großen runden Augen spiegelten sich wie Sternlein die Christbaumlichter. - Der Vater schritt langsam zur Küchentür und flüsterte hinaus: "Mutter! - Mutter! komm ein wenig herein." Und als sie da war: "Mutter, hast du das gemacht?"
Es könnte ein Christbaum sein.
Weihnachtsmarkt - Adventmarkt heute
Maria und Josef!" haucht die Mutter. "Was lauter habens denn da auf den Tisch getan?" Bald kamen auch die Knechte, die Mägde herbei, hell erschrocken über die seltsame Erscheinung. Da vermutete einer, der Jungen, der aus dem Tale war: Es könnte ein Christbaum sein. Sollte es denn wirklich wahr sein, dass Engel solche Bäumlein vom Himmel bringen? - Sie schauten und staunten. Und aus des Vaters Gefäß qualmte der Weihrauch und erfüllte schon die ganze Stube, so das es war wie ein zarter Schleier, der sich über das brennende Bäumchen legte. Die Mutter suchte mit den Augen in der Stube herum: "Wo ist Peter?"
"Ah," sagte der Vater, "jetzt schon, jetzt rait ich mir`s schon, wer das getan hat."
Da erachtete ich es an der Zeit, aus dem Ofenwinkel hervorzutreten. Den kleinen Nickerl, der immer noch sprachlos und unbeweglich war, nahm ich an dem kühlen Händchen und führte ihn vor den Tisch. Fast sträubte er sich. Aber ich sagte - selber tief feierlich gestimmt - zu ihm: "Tu dich nicht fürchten, Brüderl. Schau, das lieb Christkindl hat dir einen Christbaum gebracht. Der ist dein."
Und da hub der Kleine an zu wiehern vor Freude und Rührung, und die Hände hielt er gefaltet wie in der Kirche.
Solange die Lichtlein brannten, war es wie ein Gottesdienst
Auch heutzutage freuen sich die Kinder unbändig über den Christbaum
Öfter als vierzigmal seither hab ich den Christbaum erlebt, mit mächtigen Glanz, mit reichen Gaben und freudigen Jubels unter Großen und Kleinen. Aber eine größere Freude habe ich noch nicht gesehen, als jene meines kleinen Brüderleins Nickerl - dem es so plötzlich und wundersam vor Augen trat - ein Zeichen dessen, der da vom Himmel kam. Solange die Lichtlein brannten, war es wie ein Gottesdienst, während der Mutter auf dem Herde richtig ein paar Krapfen verschmorten. Erst als die Lichtlein verloschen, eins ums andere, bis auch das letzte mit ein paar knisternden Flackern dahin war, huben die Leute an zu reden und einer brachte, weil es ja finster geworden war, von der Küche ein rötliches Spanlicht herein.
"Was denn darunter liegt!" sagte der Vater und zeigte auf den Wecken. "Nickerl, mich deucht, das gehört auch dein." Der schöne, bräunliche Wecken, mit Weinberln gespickt - weil es Weihnachtsgebäck war - , wurde dem Kleinen in die Hand gegeben.
Ingwerkekse (Ginger) - Weihnachtsbäckerei
Er hielt ihn ganz hilflos vor sich. Die Freude wurde nicht größer, weil sie nicht mehr größer werden konnte. Der Christbaum allein hatte sein ganzes Herzlein ausgefüllt, sowie er auch unsere Kinder ausfüllen würde, wenn der himmlische Lichterbusch nicht so sehr mit irdischen Tand verweltlicht würde.
Nachher beim Nachtmahl wurden allerhand Meinungen laut.
"´s Krippel ist eh da oben," entgegnete der Vater und wies gegen den Wandwinkel, wo neben mehreren Heiligenbildern mit kleinen Figuren auch die Darstellung der Geburt Christ war.
"`s kommt halt eine neue Mod auf," wusste der Jungen aus dem Tal zu sagen. "Der lutherisch Verwalter in Mitterdorf hat in ganz Mürzthal den Christbaum aufgebracht. Aber da sind wenigstens gute Sachen darunter, und dass jeder was kriegt.
"Aha, wenn du Geschenke kriegst," sagte ich gereizt, "da magst auch einen lutherischen Christbaum, gelt!"
"Still seids!" gebot der Vater, der solche Reden nie leiden konnte,..
Porträt von Peter Rosegger, ca. 1900
...und heut am wenigsten. Also ist die Weihnachtsstimmung schön gewahrt geblieben. Und während wir gekochte Rüben und Sterz aßen, saß der Nickerl beim Christbaum und aß ein Stückchen Wecken, das ihm die Mutter herabgeschnitten hatte. Sich und dem Vater und mir, so war sein Wille, sollte sie auch ein Stück herabschneiden; aber mir war der lang entbehrte Sterz lieber. So zehrte der Kleine noch am Christtag und am Stephanitag und am Johannstage an seinem Wecken. Aber die Weinberln hatte er alle schon am ersten Tag aus der Rinde gekletzelt. Endlich war der ganze Wecken weg.
Aber das Bäumlein war noch da, wenn auch kahl und leer, wie sie im Walde stehen. Der Nickerl ließ es auf die Leiste über seinem Bettchen stellen. Und dort stand es gewisslich bis die Nadeln begannen zu fallen. Dann nahm es die Mutter heimlich weg, hackte es klein, und legte es fast zärtlich auf das prasselnde Herdfeuer.
Peter Rosegger, 1843 - 1918