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Hymnische Töne (Oder: Ich würde jetzt gerne jemanden anbrüllen!)

Ein ganzes Volk bietet so viel an Emotionen und Geist, dass jede Sorge jemanden findet, der oder die sich ihrer annimmt.

fahne,Flagge,Österreich,Staatsbürger,Habsburger,zweite Republik,Sohn,Emotionen,Staat,Nazi,schwächen,Gesetz,Publikum,Änderung,AutorinIch höre in letzter Zeit gehäuft: „Haben wir keine anderen Sorgen?“ Dazu denke ich mir grundsätzlich: Wunderbar! Ein ganzes Volk bietet so viel an Emotionen und Geist, dass jede, wirklich jede Sorge jemanden findet, der oder die sich ihrer annimmt. Warum sollte ich mir also andere Sorgen suchen, wenn mir eine bestimmte besonders zusagt? Sind nicht etliche Millionen Leute um mich, die sich um andere Sorgen scheren mögen, wenn ich mir meine Sorge der Woche schon auserkoren hab?

Im Grunde unserer Herzchen und in einer von der Gegenreformation brav auf Hierarchie gebürsteten Kultur wissen oder ahnen wir natürlich, es ist eine ungeheure Frechheit, eine autoritäre Anmaßung, dass mir jemand zurufen will, welche Sorgen ich mir zu machen hätte. Ist es nicht billig, genau jenen Sorgen anzuhängen, die eh schon sechs von acht Millionen Menschen teilen? Das kann wirklich jede. Und jeder.

Ein Volk von Ratgebern auf der Suche nach Ratsuchenden

Mir ist dazu lediglich eine Zuschreibung wie „Klugscheißer!“ oder „großgoschert“ geläufig. Im Angloamerikanischen gibt es dafür einen viel feineren Begriff: „backseat driver“. Also ein Lenker, eine Lenkerin auf dem Rücksitz. Selber nicht fahren wollen, aber anderen zurufen, wo es lang gehen sollte. Derlei Konsorten rufen dann auch angesichts markanter Probleme, also vorzugsweise jener Schieflagen, die wahrlich schon jeder Spatz von jedem Dach pfeift: „Wo bleibt denn da der Aufschrei von diesen und jenen?“

Aufschrei! Das ist so ein spaßiger Terminus. Naja, Sie werden schon erkannt haben, ich bewege mich langsam in Richtung der Frage, ob unsere Bundeshymne nun „getöchtert“ werden soll oder nicht. Das ist etwas, worüber ich mich im Angloamerikanischen zerkugeln kann. Diese Grenzenlosigkeit, aus Hauptwörtern auch Tätigkeitswörter abzuleiten. Diese Bandbreite kennen wir nicht. Mir ist es, so glaube ich, das erste Mal am Beispiel „fathering“ aufgefallen.

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Dröhnt eine Dröhnung? Lockt eine Locke? Auf jeden Fall blitzt ein Blitz; aber funkelt ein Funke, wo schon der Funker funkt? (Bemuttern? Vielleicht. Ab und zu. Bevatern? Kannst du vergessen, Alter!)

Dass ein Vater konsequenter Weise „vatert“, wäre vielleicht im „Bemuttern“ schon angeregt. Aber was immer die Qualitäten einer „guten Mutter“ seien, die im „Bemuttern“ als übertrieben gelten, Vätern wird derlei anscheinend eher nicht zugetraut, schon gar nicht zugeschrieben. Fußnote: Ich „vatere“ eigentlich gerne, aber mein Sohn lässt mich nicht!

Klar, mit seinen 19 Jahren würde er manches, was mir läge, als ein peinliches „Bemuttern“ deuten. Und was seine Mutter für angemessene Väterlichkeit hielte, findet unser beider Zustimmung nicht. (Bevor jetzt jemand fragt, ja, ich war mit meinem Sohn in Karenz. Bemerkenswerte Erfahrung! Aber das ist eine andere Geschichte.)

Ohne Dampf kein Schwampf!

Soll also nun unsere Hymne getöchtert werden? Ich bin so frei und komme jetzt einmal von der „Maschekseite“.

Wollte mir jemand den Satz „Volk, begnadet für das Schöne“ zuwerfen, würde ich diesen pathetischen Schwampf mit einem Fallrückzieher retournieren, möglichst mitten auf die Nase der Person, die derlei National-Kitsch absondert.

Ich verstehe schon, dass eine gutbürgerliche Existenz wie die Autorin Paula Preradović, wenn Sie sich a) an ein belesenes Publikum und b) an die Ewigkeit richtet, Erhabenheit generieren möchte und daher einen Stil und Sujets wählt, von denen vielleicht seinerzeit eine erhebende Wirkung ausgegangen ist. Mutmaßlich nicht, um Proleten und Dienstboten, um Kleinhäuslern und Keuschlern einen Weg zu weisen. Aber unter ihresgleichen und diversen Honoratioren des Staates wird der Text Eindruck gemacht haben. (Die Bundeshymne

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Als Proletenkind aus dem Hochhaus
(7. Stock) habe ich für den National-
kitsch einer verflossenen bürgerli-
chen Dame gar nichts übrig. In
Kindertagen wurde sie mir noch als
„Paula von Preradović“ verkauft.
Man hatte, gegen geltendes Gesetz,
vergessen das „von“ zu löschen.
.

Kleiner Einschub: Dass „Paula von Preradović“, die 1951 verstarb, ihr „von“ im Jahre 1919 beim Salzamt abgeben musste, weil ein ebenso knappes, wie unmissverständliches Gesetz vom 3. April 1919, welches bis heute in Kraft ist, Adelsprädikate und Adelsprivilegien abschaffte, hat sich nicht gar so sehr herumgesprochen; siehe etwa die Page im „Austria-Forum

Noch ein Einschub:

§ 1.: Der Adel, seine äußeren Ehrenvorzüge sowie bloß zur Auszeichnung verliehene, mit einer amtlichen Stellung, dem Beruf oder einer wissenschaftlichen oder künstlerischen Befähigung nicht im Zusammenhang stehenden Titel und Würden und die damit verbundenen Ehrenvorzüge österreichischer Staatsbürger werden aufgehoben.

§ 2.: Die Führung dieser Adelsbezeichnungen, Titel und Würden ist untersagt. Übertretungen werden von den politischen Behörden mit Geld bis zu 20.000 K oder Arrest bis zu sechs Monaten bestraft.

Quelle: Gesamte Rechtsvorschrift für Adelsaufhebungsgesetz, Fassung vom 11.11.2010 

Trallala, widirallala und hoppsasa; geht nicht!

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Der österreichische Staat (oder die Post) kennt die eigenen Gesetze nicht oder ignoriert sie bewusst?

Aber die Hymne! Also der Text. Selbstverständlich ist es unakzeptabel, dass jemand in den bestehenden Text einer Schriftstellerin verändernd eingreifen möchte. Als Autor kann ich solchen Unfug bloß ablehnen. Außer, der Vorgang wäre ein Teil von künstlerischer Praxis, um zu einem neuen Werk zu führen, oder Gegenstand satirischen Kommentars. Beides würde im jeweils eigenen Genre Bestand haben, das müsste sich eine tote wie lebende Schriftstellerin gleichermaßen gefallen lassen. Aber es wäre wohl kaum der Stoff, aus dem sich ein Staat seine Hymne schnitzt.

Wenn also die bestehende Hymne, deren Text ich aus heutiger Sicht für eher problematisch, mindestens für höchst anachronistisch halte, keine angemessene Zustimmung mehr findet, dann weg damit! Ab ins Museum, und zwar unverändert. Als literarisches Werk und als Zeitdokument halte ich seine Unversehrtheit für wesentlich. Welchen Sinn hätte es, historische Dokumente und Artefakte umzukupfern?

Würden wir auf Gemälden den Bart von Kaiser Franz Josef retuschieren, weil er aus heutiger Sicht damit aussieht wie ein Droschkenkutscher?

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Österreich: Mitten in Europa, im 21. Jahrhundert

Es müsste demnach ein neuer Text, womöglich überhaupt eine neue Hymne her; vorausgesetzt, es lässt sich überhaupt erst einmal feststellen, dass das nötig und unverzichtbar ist. Mir würde eine Hymne ohne Text genügen, wer unbedingt mitsingen möchte, möge mit „Lalalalalaaaa“ sein oder ihr Auslangen finden.

Der moderne Nationalstaat mit seinen Hoheitsabzeichen und Symbolen ist ein historisch junges Phänomen. Wir haben nach rund 650 Jahren Habsburger Monarchie bisher nur wenig Erfahrung damit. Weder der Ständestaat der Zwischenkriegszeit, noch die Nazi-Ära sind Erfolgsgeschichten dieses Konzeptes und die Zweite Republik dauert noch nicht gar so lange, dass sich feststellen ließe: Ohne Hymne geht es gar nicht!

Za wos brauch ma des?

Es wäre demnach klärungsbedürftig, ob wir also eine neue Hymne brauchen und ich halte für geklärt, dass die alte nichts taugt, weil sie aus jetziger Sicht, wie erwähnt, kaum mehr als Nationalkitsch ergibt. Da aber Symbole wichtig sind, sonst würden ja jetzt nicht so viele Leute auffallend dagegenhalten, wo einige diese Hymne „töchtern“ möchten, ist es selbstverständlich nicht egal, dass darin nur „große Söhne“ gefeiert werden und die Töchter unerwähnt bleiben.

Dieses Ausblenden des Weiblichen ist auf symbolischer Ebene fatal und aus heutiger Sicht unannehmbar. Wer schnoddrig darüber hinwegplauscht, dass Sprache nicht bloß unser Denken ausdrückt, sondern auch unser Denken formt, hat natürlich die Freiheit, im Kielwasser alter Verhältnisse, vor allem alter Machtverhältnisse, weiterzudümpeln. So ist Demokratie. Man darf auch eine Schnarchnase sein und glauben, dass Franzl wie Sissi nette Menschen waren.

Gesellschaft ändert sich immer. Wenn also der Nationalkitsch von Paula Preradović auch einmal Bedeutung gehabt hat und ganz anders verstanden wurde, heute ahnen wir, der Text wird es nicht in die Ewigkeit schaffen.

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Würden Sie diesem Mann eine gebrauchte Droschke abkaufen? (Franz Joseph I. nach einem Gemälde von Franz Xaver Winterhalter)

Mir ist es im Augenblick völlig wurscht, ob das im Fall der Hymne heute, morgen oder in einem Jahr passiert, eine Änderung, Neuerung, Abschaffung, was weiß ich! Aber so viel Redlichkeit muss doch sein, dass wir am bestehenden Text mehr als nur ein paar Schwächen erkennen und dass wir den hohlen Pathos heute zur Debatte stellen dürfen. Es mögen damals gebildete Schichten davon ergriffen gewesen sein, ich zweifle dass ein ganzes Volk sich selbst darin erkannt haben würde, falls wer gefragt hätte. Sowas wurde einfach vorausgesetzt, solche Akte und Unterstellungen vaterländischer Selbstergriffenheit waren Standard – Ha! Vater! Land!) – aber auch das ist antiquiert.

Wenn nun einige Menschen absolut keine anderen Sorgen haben, als sich dieser Sache anzunehmen, denke ich mir: Fein, dass sich jemand darum kümmert, denn dazu könnte ich mich selbst im Augenblick nicht aufraffen. Schauen wir, was dabei herauskommt, aber tun wir nicht so, als ob alles immer beim Alten bleiben müsste.

© Martin Krusche, Jahrgang 1956, freischaffender Künstler, Exponent von „kunst ost

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