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Lasst die Verbrecher laufen - wenn es der Menschheit nützt

Die moralinsaure Dummheit hat wieder einmal gesiegt und Schaden angerichtet. Provoziert Unterberger jetzt zu stark oder hat er gar Recht?

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Das Gebäude des Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag

Vor allem Diplomaten und Juristen hielten es für einen großen Fortschritt der Menschheit, als der Internationale Strafgerichtshof eingeführt worden ist. Vor allem Journalisten jubelten, als Ägyptens früherer Diktator in Haft genommen worden ist. Abertausende Menschen müssen nun diesen Fortschritt, diesen Jubel mit Tod, Leid und Folter beklagen. Die moralinsaure Dummheit hat wieder einmal gesiegt und Schaden angerichtet.

Denn das Ergebnis ist klar und hätte mit einem Minimum an psychologischer Einfühlung auch leicht vorausgesagt werden können. Jeder Diktator und Gewaltherrscher der Welt weiß nämlich seither: Auch ihm droht ein Lebensende hinter Kerkermauern, wenn er freiwillig abtritt. Er hat in einer solchen Situation nichts mehr zu verlieren und kämpft daher buchstäblich bis zum letzten Mann.

 Internationaler Strafgerichtshof
Mitgliedstaaten (grün), Unterzeichnerstaaten (orange)

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Keiner der Herrscher tritt mehr freiwillig ab

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Führerkult in Nordkorea.

Das sieht man nun von Libyen über Syrien bis zum Jemen. Keiner der Herrscher tritt dort mehr freiwillig ab. Sie sehen, die Mubarak offensichtlich gegebenen Versprechungen werden nicht eingehalten. Daher verlassen sie sich auf keine Vermittlungsbemühungen mehr. Mubarak hatte hingegen noch das Beispiel des tunesischen Machthabers vor Augen. Diesem war ja noch ein relativ sicheres Exil in Saudi-Arabien ermöglicht worden.

Die amtierenden Diktatoren sehen ja auch die Beispiele Burmas, Irans, Nordkoreas oder Chinas. Überall haben die Gewaltherrscher gerade dadurch, dass sie keinen Millimeter nachgegeben haben, sich und ihrer Familie nun schon zum Teil über Generationen ein Leben an der Macht und im Luxus sichern können. Dabei waren manche von ihnen zum Teil schon sehr bedroht. Und ihre Herrschaft war weit brutaler als die der tunesischen und ägyptischen Diktatoren.

Herr Lukaschenko aus Belarus

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Alexander Lukashenko mit Vladimir Putin, Weißrussland und Russland

Aber auch Herr Lukaschenko aus Belarus greift seit Mubaraks Verhaftung wieder in aller Brutalität durch. Er nimmt einen Terroranschlag (der wahrscheinlich von seinem eigenen Geheimdienst als provokativer Vorwand durchgeführt worden ist) zum Vorwand, um mit der Opposition brutalst aufzuräumen.

Aber soll man Diktatoren, deren Arme bis zum Ellbogen voller Blut sind, wirklich ungeschoren laufen lassen? Das klingt ungerecht. Richtig. Das hätte aber den großen humanitären Vorteil, dass viele dieser Diktatoren dann viel eher freiwillig zurücktreten würden. Was viele Opfer ersparen würde.

Vorbild Südafrika

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Nelson Mandelas Gefängniszelle auf Robben Island

In diesem Sinn war und ist Südafrika ein positives Vorbild. Denn es hat auf alle Prozesse wegen der Verbrechen der Apartheid-Jahre verzichtet – die übrigens von beiden Seiten gesetzt worden sind. Es hat, statt mit einer Prozessflut zu beginnen, eine ethisch orientierte Wahrheitskommission eingesetzt, die viele Untaten auf allen Seiten historisch aufgearbeitet, aber keine Strafen verhängt hat.

Ein anderes positives Vorbild war übrigens der von der Geschichtsschreibung viel zu wenig geschätzte Boris Jelzin. Er hat als erster die sowjetische Tradition gebrochen, dass ein neuer Machthaber mit seinen Vorgängern zu Gericht gegangen ist. Er hat zwar Michail Gorbatschow keineswegs geschätzt, ihm aber kein einziges Härchen gekrümmt.

Ursache für neuen aggressiven Nationalismus

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Museum des Kroatischen Unabhängigkeits-Krieges Turanj nahe Karlovac

Eine solche Wahrheitskommission wäre mit Sicherheit auch für die kroatisch-serbisch-bosnischen Kriege besser am Platz gewesen, statt einzelne Kriegsverbrechen zu bestrafen, wie es nun mit zum Teil drastischen Strafen passiert ist. Denn nun sieht jede Seite nur ihre eigenen Kriegshelden bestraft. Überall blüht daher ein neuer aggressiver Nationalismus auf. Und man kann mit Sicherheit davon ausgehen, dass die Volksgruppen zumindest in Bosnien und Kosovo wieder übereinander herfallen werden, sobald die ausländischen Truppen wieder abgezogen sind. Und ewig können die ja nicht dort bleiben.

Eine so strenge internationale Strafjustiz hätte nur dann einen Sinn, wenn die dort zu Gerichte sitzende Weltgemeinschaft auch bereit wäre, die Exekutive im Dienste einer solchen Justiz zu spielen. Wenn sie also Herrn Lukaschenko, die iranischen und etliche mittelasiatische Gewaltherrscher zu besiegen und ins Gefängnis zu werfen vermag. Das gleiche müsste in Kuba, China und anderen Diktaturen geschehen.

Man sollte verzichten, großspurig Weltenrichter zu spielen

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Nikita Sergejewitsch
Chruschtschow, „Erfinder“ der
„Friedlichen Koexistenz“

So lange aber verständlicherweise niemand diese mörderische Rolle zu übernehmen bereit ist, so lange sollte man auch verzichten, großspurig Weltenrichter zu spielen. Da ist eine ehrliche „Friedliche Koexistenz“ noch immer sinnvoller und humaner, wie man sie gegenüber der zweiten großen Verbrecher-Diktatur des vergangenen Jahrhunderts, also der kommunistischen gepflegt hat.

Nur gegenüber schon zurückgetretenen Machthabern auf Gerechtigkeit zu machen, hat weder mit Recht noch mit Moral zu tun. Und schadet dem Freiheitskampf anderswo. Das alles wird einmal als abschreckendes Beispiel in die Geschichte eingehen, wie man es nicht machen soll.

Gut gemeint erweist sich wieder einmal als das Gegenteil von gut.

© Andreas Unterberger - andreas-unterberger.at ist Österreichs meistgelesener Internet-Blog

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