Euch kann ich´s ja sagen – nichts, aber schon absolut überhaupt gar nichts ist mir heiliger.. Wie kann ich dem Pferd gerecht werden? - fragt sich Daniela Kummer.
Bei den Grazer Puchwerken hat man sich von der Fahrradproduktion getrennt, bevor ein Fahrradboom einsetzte. Das war damals ein Schritt, der für erhebliche Aufregung...
Der schnellen Fuß des Götterboten Hermes zeigt wahlweise Flügelchen, die aus dem Knöchel wachsen oder Flügelschuhe. (Bild: Archiv Krusche).
Hermes, der Götterbote, Urvater aller Telegrammboten, Schutzgott der Reisenden und Kaufleute, aber auch – ha! – der Diebe und Kunsthändler, wusste den „schnellen Fuß“ = „Velociped“ zu schätzen. Seine Schuhe waren beflügelt. So also der flatterhafte Inbegriff des Reisenden, zu deren Patron der Kerl wurde. Er war von Geburt an ein Tunichtgut, hat aus Jux die Leier erfunden, wozu er einen Schildkrötenpanzer umbaute.
Stichwort: Velociped. Das ist auch ein etwas antiquierter Begriff für das Fahrrad. Da Latein bei mir schon in der Unterstufe für den unausweichlichen Abgang aus dem Akademischen Gymnasium gesorgt hat, musste ich Details nachschlagen. Das Wort „velox” bedeutet Geschwindigkeit, Mehrzahl “veloces”. Das lateinische “pes” bedeutet Fuß, Mehrzahl “pedes”.
Momentan wird gerne erzählt, Carl Benz habe vor 125 Jahren das Automobil erfunden. Mumpitz! Ihm gelang ein halbwegs tauglicher Benziner. Doch „selbstbewegende“, also motorisierte Mobilitäten gab es schon früher; etwa den grobschlächtigen Dampftraktor von Nicilas Cugnot. (Bild: Public Domain).
Beim Automobil ist es begrifflich noch bunter hergegangen. Der griechische Wortteil „auto-„ für „selbst-„ ist mit dem lateinischen „mobilis“ für „beweglich“ kombiniert worden. An der Reiterei hatten die Menschen, genauer: die Männer, schon erfahren können, wie berauschend Beschleunigung und Tempo sind, zweirädrige Streitwagen wurden die Porsches der Antike. Aber lange vor solchen realen Möglichkeiten haben unsere Vorfahren den Göttern solche Möglichkeiten zugeschrieben. Hermes war also ein Mann der Beschleunigung. In der griechischen Mythologie wurde außerdem rücksichtslos gerast (Phaeton mit dem Sonnenwagen) und glücklos geflogen (Ikarus bei seinem Höhenrekord).
Im Sitzen laufen was das Zeug hält, bei brutalem Verschleiß an Stiefelsohlen, das verlangte Muckis und Kleingeld. Das „Laufrad“ des Freiherren Drais war nichts für arme Schlucker. (Bild: Public Domain)
Wenn Ry Cooder singt „Every woman I know is crazy ’bout an automobile”, dann ist das ja vielleicht ein wenig dick aufgetragen. Aber ab den Dampfwagen von Cugnot, Trevithick und Bollée im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert ging es ganz rasant in Richtung ideologischer Kampfgesänge zugunsten individueller Mobilität; möglichst nicht gerade untermotorisiert.
Dabei spielte der „Knochenrüttler“ des Karl Freiherr von Drais eine besondere Rolle. Diese „Laufmaschine“ war der Vorläufer unseres Fahrrades. Ein lenkbares Zweirad ohne Pedale, das quasi ein Laufen im Sitzen ermöglichte. Sehen Sie sich gelegentlich um, derlei Laufräder gibt es noch heute als hölzernes Kinderspielzeug. damit kann ein Gschrapp scharf um jede Ecke pfeifen wie der Wind.
In den Anfängen war das nichts für Kinder. Der Karl Friedrich Christian Ludwig Freiherr Drais von Sauerbronn musste ja allein schon im Umgang mit seinem Namen eine flotte Art entwickelt haben, sonst kam er gewiss zu keinem Ende, wenn er amtlich wurde. (Forstbehörde!)
Wer von so einem „Hochrad“ über den Lenker abgesattelt hat, musste schon topfit sein, um dabei nicht eine fette Arztrechnung zu produzieren. (Bild: Public Domain)
Das bald schon sehr populäre Fahrzeug aus seiner Werkstatt dürfte den Schustern mancher Orte ein Umsatzplus beschert haben. In der „Oeconomischen Encyclopädie“ von Johann Georg Krünitz aus eben jener Ära ist nachzulesen, wie es dazu kam: „Wenn man eine Fahrt von ein paar Meilen damit macht, so kostet es ein Paar Stiefelsohlen, denn von dem immerwährenden scharfen Auftreten mit dem Fuße um die Maschine schnell zu bewegen, wird das Sohlenleder so dünn abgerieben, dass Löcher entstehen.“
Die Tests jener Tage weisen diesen Fahrzeugtyp noch eher als Spaßgerät aus, wobei es freilich nicht geblieben ist: „Allein alle Fahrer sind einstimmig der Meinung, dass sich diese Maschine wohl auf einem ebenen Gartenboden, überhaupt in Gärten, auf geebneten Plätzen und kleine Strecken von einer halben Meile wohl zum Vergnügen gebrauchen lasse, aber nicht auf weitere Strecken, weil sie die Kräfte zu sehr in Anspruch nimmt und besonders die Füße, wobei die abgestoßenen Stiefelsohlen nicht in Anschlag gebracht werden.“
Ein hymnisches Gedicht, im Jahr 1819 publiziert, trug den Titel „VELOCIPEDE. A poem.“ und zeigt über zehn Seiten, was sich da an Freuden wie Gefahren auftat. Es endet mit einem gebrochenen Bein und einer Arztrechnung:
“A broken leg was all that clos’d the scene:
And Tom was homeward carried from the hill,
With scarce one doit to pay the doctos bill.”
Ein kleiner Hinweis darauf, wie gefährlich vor allem die frühen „Hochräder“ gewesen sind. Das Lieblingsspielzeug wohlhabender junger Herren, die in Geschwindigkeit vernarrt schienen und über angemessene körperliche Konstitution verfügten. Stürze waren bei diesen Vehikeln häufig, gebrochene Arme und Handgelenke naheliegend.
Ein „Pickering’s“ oder „American Bicycle“ war schon ganz offensichtlich der nächsten Stufe an Komfort und ausgefeilter Technik gewidmet. (Bild: Public Domain)
Es ist mir ein wenig rätselhaft, was die Leute bewog, derlei Hochräder zu bauen. Ich vermute, es lag hauptsächlich an der Wegstrecke, die so ein großes Vorderrad mit einer Umdrehung der Tretkurbel schaffte; wofür man ziemlich kräftige Beine brauchte. Denn anfangs wirkten Tretkurbeln ohne jede Übersetzung auf die Achsen der Räder, weshalb ich annehme, dass man sich bei einem kleinen Raddurchmesser zu Tode gestrampelt hätte.
Die „Hobby Horses“ hatten also beschränkte Verbreitung. Ihre Anschaffung war teuer, ihr Gebrauch riskant. Von den britischen Inseln kamen schließlich neue Konstruktionen, sogenannte „Sicherheitsräder“. Zwei schon sehr bald gleich große Räder, nicht gar so hoch, und der stabile Diamantrahmen führten die Konstruktion wieder näher an den Ursprung bei Drais, an dieses frühe Fahrzeug-Layout heran. Dazu Tretkurbeln, deren Antriebskraft auf die Hinterräder gelenkt wurde; via Kette, aber seinerzeit auch über Kardanwellen.
Ein „Pariser Damen-Veloziped“ zeigt, dass man den Frauen anfangs keinesfalls ein schnelles „Hobby Horse“ zutraute und zubilligte. Dafür wurde für die Damenwelt technologisch schon wesentliche mehr Raffinesse aufgewandt, was in den Konstruktionen den Weg zum Automobilismus wies. Das legendäre Motoren-Veloziped von Carl Benz entsprach etwa so einer Fahrzeugbasis. (Bild: Public Domain)
Wir haben heute keine sehr realistische Vorstellung mehr, was es den Menschen breiterer Bevölkerungsschichten bedeutet haben muss, über die schließlich in Massenfertigung preiswert gewordenen Fahrräder an individueller Mobilität zu gewinnen. Auf diesem Weg hatten vor allem Frauen einiges Neuland gewonnen; ursprünglich natürlich jene aus bessergestellten Kreisen. Die fahrradtaugliche und daher zwangsläufig luftigere Bekleidung war als skandalös bewertet worden, der erweiterte Spielraum, der größere Aktionsradius von Frauen erweckte das Misstrauen vieler Männer, die vermutlich… genau! Die vermutlich vor allem ihresgleichen misstrauen mussten.
Dieses Inserat stammt aus dem Magazin „Wiener Bilder“ in der Ausgabe vom 10. März 1929. Zu der Zeit war so ein Qualitätsprodukt noch keineswegs für das breite Publikum erschwinglich. (Bild: Public Domain)
In verschiedenen österreichischen Postillen und Journalen hat es doch recht lange gedauert, bis die Werbung für Fahrräder sich ausbreitete, um jenseits der Oberschicht größere Bevölkerungskreise zu erreichen. Eines der Produkte, die nun schon über hundert Jahre zum Alltag der Menschen gehören, ist uns bis heute ein Begriff. Das „Waffenrad“. Eigentlich kein militärischer Artikel und auch kein Teil eines Waffensystems. Der Name leitet sich vom Produzenten her. Die Österreichische Waffenfabriks-GesmbH (ÖWG) in Steyr produzierte solche Räder ab 1895, da im Jahr davor die Umsätze der Waffenproduktion stark gefallen waren und die Firmenleitung sich nach zivilen Produkten mit guten Absatzmöglichkeiten umgesehen hatten.
Im Jahr 1987 gingen die Wogen hoch, als die Fahrradproduktion in Graz endete und dieser Bereich nach Italien verkauft wurde. In den 1990er sollte sich zeigen, dass die Menschen wieder eine Menge Geld für Fahrräder ausgeben würden. (Bild: Archiv Krusche)
Das „Waffenrad“ und einige Derivate wurde zum Inbegriff eines robusten Fahrrades, dessen Anschaffungspreis sich in Qualität und Lebensdauer rechtfertigen würde. Es war in meiner Kinderzeit als ein Produkt der Puchwerke gewissermaßen Standard. Ich meine mich zu erinnern, dass dann Ende der 1960er-Jahre billige Importräder greifbar wurden. In der Grazer Innenstadt waren dem Geschäfte wie Klement und Sioux gewidmet, die heute längst verschwunden sind.
Bei den Grazer Puchwerken hat man sich übrigens von der Fahrradproduktion getrennt, bevor ein neuer Fahrradboom einsetzte. Das war damals ein Schritt, der für erhebliche Aufregung und für heftige Einwände sorgte. Bei alten „Puchianern“ kann man heute noch gelegentlich etwas unzivilisierte Äußerungen zu dieser Entscheidung der Konzernleitung hören.
© Martin Krusche, Jahrgang 1956, freischaffender Künstler, Exponent von „kunst ost“