Der britische Boulevard bringt bei uns zurzeit momentan wenigstens einige Leute ins Grübeln.
Am wenigsten jene, die Österreichs Boulevard beleben. Wo andere nur machen, was ihnen Quotenfragen gebieten, streitet dann auch noch einer dafür, verteidigt offensiv einen Journalismus, der Gesetze bricht, bedenkenlos die Menschenwürde verletzt und allerhand Regeln einer Demokratie einfach ignoriert.
Der Skandal um „News-International“ (Titelblatt der ersten Ausgabe vom 1. Oktober 1843) illustriert, wie profitorientierte Medienleute bedenkenlos Instanzen der Demokratie korrumpieren
Michael Jeannée hatte unverzüglich sein Kriegspony gesattelt, um gestiefelt und gespornt genau das vor Anfechtungen zu schützen, was selbst eine Waffe ist, die, wo sie einschlägt, ordentliche Breschen haut; nämlich den Boulevardjournalismus.
So reitet Jeannée rechts von Dschingis Khan, um von da her alles, was weiter links lebt, als „Bolschewisten“, „Spartakisten“ etc. zu etikettieren, wobei nicht allzu klar ist, was die Begriffe eigentlich bedeuten sollen. Aber darum geht es Jeannée auch gar nicht, weil er natürlich weiß, dass sich mit diesen Worten heute noch jederzeit antislawische Ressentiments und Kampfrhetorik aus dem „Kalten Krieg“ triggern lassen. Dabei sind konkrete Inhalte völlig unerheblich. Allein das Gestammel „linkslinks“ als Ortsbezeichnung ist als auffallendes Stottern ein deutlicher Hinweis, worum es primär geht: Stimmung statt Diskurs.
Linkslinks als das andere Rechts?
Wer Kinder solchen Ansichten Aussetzt, reißt die spröden Grenzen zwischen Zivilisation und Wildnis ein, um sich womöglich als Berichterstatter in dieser Grauzone stattfindender Gewalttätigkeit gutes Geld zu verdienen.
Wie viel Hohn, Zynismus und Menschenverachtung stecken in einem Mann, der in einem Millionenblatt publiziert, dass ein Kind, wenn es alt genug zum Einbrechen ist, auch alt genug zum Sterben sei? Man erinnere sich an die „Schüsse von Krems“!
Dieser seit langem absolute Tiefpunkt im Journalismus Österreichs dürfte noch für ein Weilchen einsame Rekordmarke bleiben, obwohl etwa das journalistische Herumstöbern unter den Röcken von Natascha Kampusch auf der nach unten offenen Skala auch ziemlich tief gepunktet hat.
Etwas Sanfteres bildet derweil Kontinuität heraus. Ganz ohne erhebliche Ereignis-Spitzen, aber mit furchterregenden Konsequenzen. Ich kann mich nicht erinnern, in welchem Jahrzehnt der Beginn dieser Tendenzen festzumachen wäre. Vielleicht liegt er ohnehin in den historischen Anfangstagen des Journalismus und hat so seine Konjunkturen, auf dass es uns manchmal mehr, manchmal weniger auffällt.
In meiner Wahrnehmung war Jörg Haider der erste Großmeister dieser Disziplin, doch die Anhängerschaft jener „Schule“ ist Legion. Unter Haider, so scheint mir, häuften sich plötzlich Situationen, wo ich verdutzt zuhörte, wie von der Journalistin, dem Journalisten eine bestimmte Frage gestellt wird und das Gegenüber antwortet auf eine Art, als hätte es diese Frage gar nicht gegeben.
Fesch sein als einträglicher Beruf: Der „Feschismus“, ein Produkt des Boulevards (Jörg Haider und Stefan Petzner, 04.09.2008, Foto: sugarmeloncom, creative commons)
Die „Nicht-Kommunikation“ als politische Kommunikation
Da kommen dann rhetorische Winkelzüge, es wird ein ganz anderes Thema eingeführt, es wird die fragende Person darin belehrt, was man und wie man fragen solle, die aggressive „Nicht-Kommunikation“ wurde medial als neue politische Kommunikationsart eingeführt.
Solche „Boulevardisierung“ der Medien, wie es sie vermutlich seit Anbeginn des Journalismus gibt, die ja vielleicht überhaupt der Beginn des Journalismus gewesen ist, demonstriert eine politische Definitionshoheit, die durch nichts legitimiert ist und allerhand Konventionen, etwa dem Amtseid politisch Funktionstragender, widerspricht.
Kleiner Einschub: Es beginnt schon auf kommunaler Ebene, dass man sich für ein Amt im Rahmen staatlicher Ordnung der Republik gegenüber, also dem Volk, verpflichten muss. Das regelt beispielsweise auf quasi unterster Ebene dieses Organisationssystems das „Gesetz vom 14. Juni 1967, mit dem für die Gemeinden des Landes Steiermark mit Ausnahme der Städte mit eigenem Statut eine Gemeindeordnung erlassen wird" (Steiermärkische Gemeindeordnung 1967 – GemO)
Im § 21 Angelobung der Gemeinderatsmitglieder ist die betreffende Formel angeführt:
"Ich gelobe, der Republik Österreich und dem Land Steiermark unverbrüchliche Treue zu bewahren, die Bundesverfassung und die Landesverfassung sowie alle übrigen Gesetze gewissenhaft zu beachten, meine Aufgaben unparteiisch und uneigennützig zu erfüllen, die Amtsverschwiegenheit zu wahren und das Wohl der Gemeinde nach bestem Wissen und Gewissen zu fördern."
Ethos versus Tyrannis
Manche belächeln gerne die Symbolik und das Staatsgepränge. Aber wir haben eigentlich nur Ethos und seine Konsolidierung, die eben auch über Symbole läuft, um eine staatliche Gemeinschaft zu ordnen, wenn das nicht über ein Gewaltsystem geschehen soll.
Es gibt keinen Grund, das zu belächeln und abzutun. Wir haben bloß diese Möglichkeit, über eingeführten Ethos und die einer Demokratie angemessene Kontrolle dafür zu sorgen, dass Faustrecht und Räuberei gebannt bleiben. Jenseits von ethischen Konzepten blieben eigentlich nur noch die Mittel der Tyrannis und das Equipment eines Polizeistaates, um eine wie immer geartete Form von Gemeinwesen zu organisieren.
Ethos ist demnach eine wichtige Option. Ethos braucht Symbole und Rituale, um kommuniziert und gefestigt zu werden. Deshalb, so meine ich, ist auch eine Debatte um den Inhalt unserer Bundeshymne keineswegs müßig. Wer denkt, wir sollten gefälligst andere Sorgen haben, als uns um solche Details zu scheren, ignoriert mindestens diese Zusammenhänge. Siehe zu diesem Thema auch: „Hymnische Töne“ (Oder: Ich würde jetzt gerne jemanden anbrüllen!)
Wenn also politisches Personal auf Bundesebene schon vor einer Weile begonnen hat,
a) erhebliche Summen in politische Inseratenkampagnen zu investieren und
b) journalistische Fragestellungen zu ignorieren,
wenn solche Leute den Platz im öffentlichen Diskurs vor allem zur persönlichen Selbstdarstellung nutzen, dann ist das nicht bloß Ausdruck des Versuchs, den Journalismus zu gängeln, das ist eine Konzession an die Tyrannis.
Totengräber der Demokratie
Nun darf ich davon ausgehen, dass viele Leute aus der Politik eine andere Berufsgruppe gut bezahlt, um in diesen Fertigkeiten trainiert zu werden. Medien-Coaches haben in ihren Reihen ganz offenbar genug Leute, die ich getrost als Totengräber der Demokratie bezeichnen würde.
Ich kann mir als Bürger dieses Landes gar nichts anderes wünschen, als dass sich Mandatarinnen und Mandatare auf allen Ebenen der Öffentlichkeit, den Medien und den Menschen in kritischen Diskurses stellen. Eine Situation im Kielwasser der Idee von Gewaltenteilung. Wenn sie sich dem zunehmend verweigern, ist das eigentlich ein Kündigungsgrund.
Herr Schrittwieser weiß offenbar ganz genau, was sein Gegenüber auf jeden Fall nicht braucht, nämlich professionelle Pressearbeit. Der Alleinanspruch auf Definitionshoheit könnte gar nicht deutlicher zum Ausdruck kommen.
Ein bemerkenswertes Beispiel dafür, wie etwa ein hoher Landespolitiker sich gegen einige brisante Fragestellungen und Faktenlagen vollkommen taub macht, ist ein Dialog, den der steirische Soziallandesrat Siegfried Schrittwieser mit Maria Gobiet, der Mutter einer Tochter mit Behinderung, neulich für den „Standard“ geführt hat.
Folgt man dem Gesprächsverlauf, müsste man annehmen, dass Gobiet eigentlich nicht weiß, wovon sie redet, während der Politiker ihr erklärt, wie die Dinge „wirklich“ liegen. Aber der bloße Augenschein lässt schon erahnen, dass Gobiet mit der gesamten Materie länger befasst und gründlicher vertraut ist als ihr Gegenüber. Ich halte folgende Passage darin für eine Schlüsselstelle:
Gobiet: Meine Tochter möchte, dass ich Ihnen etwas ausrichte: Sie wünscht sich, dass sie nie mehr solche Angst um Ihre Zukunft haben muss. Sie wünscht sich eine Landespolitik, die behinderte Menschen als gleichwertige, geachtete Bürger sieht und nicht als Schmarotzer. Und, dass Sie darauf achten, dass Barrierefreiheit umgesetzt wird. Ich füge hinzu: auch in den Hirnen.
Schrittwieser: Und ich antworte Ihnen: Der Soziallandesrat Schrittwieser sieht keinen behinderten Menschen als Schmarotzer.
Ist das Kaltschnäuzigkeit? Antwortet man so einem Menschen, der Furcht hat und nicht die üblichen Möglichkeiten, einer Bedrohung zu begegnen? Finde ich in diesem ganzen Gespräch auch nur einen Satz, der ausdrückt, dass die Politik von der Budgetsituation keineswegs überrascht wurde, aber offenbar nicht einmal annähernd gerüstet gewesen ist, früh genug jene Debatten zu führen und Maßnahmen einzuleiten, durch die der Status quo weniger hart und mit mehr Kompetenz unterfüttert zu erleben wäre? (Siehe zum Themas „Angst auslösen“ auch: „Der Angst widerstehen“!)
Es wäre eigentlich naheliegend, dass Schrittwieser in so einer Situation signalisiert: Wir sind leider viel zu spät dran, wurden von einigen Entwicklungen kalt erwischt und würden nun dringend den Dialog mit allen sachkundigen Leute brauchen, die das Land aufzubieten hat. Aber in einer vorherrschenden Männerkultur mit ihren dubiosen Entwürfen vom „harten Kerl“ geht das offenbar noch nicht.
Würde man jemanden zum Rücktritt auffordern, der nun in Krisenzeiten solche Kompetenz zeigte, dass er nämlich auch die Erfahrung und das Fachwissen anderer zu würdigen und zu nutzen wüsste? Kaum! Bleibt die Frage: Was genau läuft tatsächlich falsch mit diesen „harten Jungs“ und auch so mancher stählernen Politikerin, dass sie aus gelegentlichen Sackgassen nicht herauskommen und so begünstigen, dass Stagnation und Kompetenzverlust inzwischen Hauptereignisse unseres gesellschaftlichen Lebens sind?
Ich wünschte allerdings auch, dass zu dieser Frage auf der Seite der Bürgerinnen und Bürger langsam die Phrasendreschmaschinen abgeschaltet werden. Ich vermute nämlich, dass gegen solche Zustände nur mit gnadenloser Kompetenz und mit zäher Ausdauer vorgegangen werden kann, auf keinen Fall mit Polemik; denn das ist die Waffe sich verschanzenden Funktionärinnen und Funktionäre. In der Nutzung dieser Waffe wird man an ihnen nichts ausrichten können, weil sie darin besser trainiert sind.
© Martin Krusche, Jahrgang 1956, freischaffender Künstler, Exponent von „kunst ost“