Liebeskummer – Symptome, Phasen und Überwindung
In sechs österreichischen Bundesländern wurden im Jahr 2017 mehr Ehen geschlossen als im Jahr zuvor.
Claudia Bossard bringt mit "Der Gute Gott von Manhattan" Ingeborg Bachmanns Hörspiel über die Unmöglichkeit der Liebe auf die Bühne. Die Aufführung ist kurzweilig, ohne doof zu sein, und hält die Balance zwischen Diskurs und Zauberspiel.
Fast ganz am Ende dieses Bühnenabends wird Tamara Semzov als Jennifer sich in eine tanzende Freiheitsstatue verwandeln, die dann die unsterbliche Oberflächlichkeit ersehnter Illusionen im Gegensatz zu gelebten Wirklichkeiten bedeuten darf. Im Zuge dieser Verwandlung wird sie u.a. einen buntblauen Aufblasglobus mit ca. 1 m Radius auf die Bühne werfen, und obwohl des ziemlich aus jedem Zusammenhang herausgerissen sein wird, wird das trotzdem … jaaa, wird das alles trotzdem seine Stimmigkeit haben.
Natürlich, dass ich persönlich mich ganz nebenbei fragen werde, ob es im Ensemble des Schauspielhauses Graz derzeit einen running gag gibt, bei dem in jeder Produktion des Jahres zumindest eine Erdkugel geworfen werden muss, oder sowas… Sonst kann ich ihn mir an jener Stelle nicht erklären …
… Aber so wichtig ist er eh nicht, der Globus. Wichtig ist an ihm bloß, dass er so anlasslos durch die letzte Szene purzeln kann, ohne, dass uns das ernstlich stören würde. Damit ist nämlich gesagt, welche Art von Abend diese Bühneninszenierung von Ingeborg Bachmanns bekanntem Hörspiel "Der gute Gott von Manhattan" ist: Unterhaltsam, kleinteilig, aber dabei auch konzentriert genug, um zu verhindern, dass wir von jedem Gag sofort abgelenkt würden.
(Beispielsweise von der Frage, ob es Absicht ist, dass Outfit und Auftreten von Franz Xaver Zach als Guter Gott, mithin als das verkörperte Realitätsprinzip, so sehr und so en détail an Bob, den Dämon aus der Serie "Twin Peaks", erinnern)
Aber der Reihe nach: Bachmanns Hörspiel aus den späten Fünfzigern ist, für sich genommen, entweder ein eskapistisches Zauberspiel, oder eine Detektivgeschichte, oder eine Liebestragödie, oder jeweils zwei dieser drei Dinge in beliebiger Kombination. Die Wirkung von Claudia Bossards Inszenierung lässt sich erfreulich klar auf einige wenige deutlich zugrundeliegende Ideen zurückführen, die sie auf dieses Material anwendet.
Erstens: Bachmanns Hörspielhandlung nicht als Kommentar, Update oder poetische Überformung des Musters klassischer Liebestragödien zu lesen, sondern als deren freundliche Beinahe-Parodie, und es sich dann in dieser Unentschiedenheit, diesem Beinahe, bequem zu machen. Damit soll nichts Schlechtes gesagt werden: So und nicht anders bekommt das Ensemble die Lacher und die Ernsthaftigkeit, das bachmann'sche Diskurs- und Metatext-Drama unter einen Hut. (Die Lacher beispielsweise, wenn Nico Link und Vera Bommer sich in Eichhörnchen verwandeln)
Die zweite Idee: Einige Stellen aus dem Briefwechsel von Bachmann mit dem Dichter Paul Celan sowie einige Gedichte der beiden so in die Handlung zu montieren, dass die These ungezwungen plausibel erscheint, es sei "Der Gute Gott von Manhattan" ein Text, in dem Bachmann ihre eigene Beziehung zu Celan bzw. überhaupt ihr Beziehungsleben verarbeite.
Mit der Briefmontage wird nebenbei, drittens, dem sprachlich höchst verdichteten Hörspieltext Bachmanns die "eigene"/ "echte" Sprache der Autorin gegenübergestellt (bzw. wird der ganze Ballast der literaturwissenschaftlichen Frage, wie die Textgattung "Autorenbrief" zu lesen sei, nonchalant vor uns auf den Bühnenboden gekippt). Damit ist die zentrale Pointe des Stücks thematisch vorweggenommen – die profunde Fremdheit und Jenseitigkeit des "authentischen Erlebens" von Gefühlen.
Wenn die Schauspieler in den ersten ca. 15 Minuten noch ein wenig an der Melodie, Komplexität, Außeralltäglichkeit der Sätze kauen, die sie da zu sprechen haben … oder richtiger: Wenn ich sie da noch so an diesen Sätzen kauen höre, mitsamt (wie ich annehme) unfreiwilligem Verfremdungseffekt … dann mag das daran liegen, dass es eben so lange dauert, bis die willing suspension of disbelief sich bei mir einstellt … oder daran, dass die Schauspieler und Schauspielerinnen so lange und nicht kürzer brauchen, bis sie in dieser speziell anspruchsvollen Sprache flüssig reden können … So oder so aber stört mich kaum, was ich als Artefakt der Alterung von Kunstsprachen zur Kenntnis nehme.
Der einzige Moment des Abends, der mich ernstlich stört, ist der, wo wie erwähnt Gedichte Celans und Bachmanns in das Stück gepflanzt, zusammenmontiert und vorgelesen werden. Mein Einwand betrifft dabei nur die Gedichte, nicht die ebenfalls erwähnten Briefe; und er betrifft weder die Leistung der vortragenden Schauspieler (die genau herausarbeiten, um was für Gedichte es sich da jeweils handelt und was die von uns in genau diesem Kontext, und genau in diesem Bezug auf einander, wollen) noch den Einfall der Regie, diese Gedichte da überhaupt hinzutun …
… Was mich stört, ist lediglich die Stimmlage, mittels derer der man die Lyrik (als Traumwelt?) von der eigentlichen Handlung abzugrenzen versucht; zu hoch, viel zu gepresst, zu affektiert – als würde man sich über die Texte, die man da vorträgt, lustig machen und sie in einen Gegensatz zur (so die Insinuation, die rüberkommt) "besseren" Sprache des Theaterstücks setzen wollen. Schon klar – an jene Stelle muss ein klarer Bruch. Aber solcher Brüche Mangelt es der Aufführung ja auch sonst nicht, und die anderen sind alle stimmig, oft lustig, immer gut getimt … Warum gerade dieser eine nicht?
Langer Rede kurzer Sinn: Im Spielplan finde ich zu wenige Reprisen – nur noch zwei Termine im Februar, soweit ich sehe. So etwas hier, statt der ewigen Schillerschen "Räuber", sollte man den Schülern und Schülerinnen per Lehrplan zum Studium vorsetzen. Der Abend war kurzweilig, ohne doof zu sein; versucht nicht, irgendwelche Räder neu zu erfinden; deutete die literaturgeschichtlich komplizierte Natur des verhandelten Stoffes an, ohne uns mit ihr auf die Nerven zu gehen; war romantisch und sogar ein bisschen sexy … Kann man alles lassen und sich anschauen.
© Lupi Spuma / Schauspielhaus Graz